Interview: Berufliche Probleme lösen lernen : Datum:

Das Projekt TeKoP entwickelt ein Training für Prüfer, Ausbilder und Lehrer: Sie lernen darin, Aufgaben zu erstellen, die die Problemlösefähigkeit von Azubis fördern und messen. Prof. Eveline Wuttke erklärt, warum das wichtig ist und wer profitiert.

Eveline Wuttke
Eveline Wuttke ist Professorin für Wirtschaftspädagogik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. © Privat

Ascot-vet.net: Bitte beschreiben Sie kurz Ihr Projekt.

Eveline Wuttke: Im Zentrum unseres Projektes stehen Weiterbildungsmaßnahmen für Personen, die Aufgaben für kaufmännische Abschlussprüfungen und für den Einsatz in Lernsituationen entwickeln. Die Teilnehmenden sollen in die Lage versetzt werden, problemhaltige Aufgaben technologiebasiert umzusetzen und Gütekriterien von Aufgaben (Objektivität, Reliabiltität und Validität) zu prüfen.

Die Problemorientierung von Aufgaben ist deshalb wichtig, weil die Entwicklung von Problemlösekompetenzen ein übergreifendes Ziel beruflicher Ausbildung ist. Mit problemhaltigen Aufgaben kann man erfassen, wie gut Auszubildende in der Lage sind, berufliche Probleme zu lösen; das ist mit reinen Wissensabfragen nicht der Fall. Dies erfordert, Ausbildungsprozesse so zu gestalten, dass diese Kompetenzen gefördert und in Prüfungen gemessen werden.

Die problemhaltigen Aufgaben werden auf einer digitalen Lern- und Prüfungsplattform umgesetzt, auf der typische kaufmännische Dokumente und Werkzeuge, wie zum Beispiel Office-ähnliche Anwendungen eingebunden werden können. Dadurch können die Aufgaben authentischer und berufsrelevanter gestaltet werden.

Ascot-vet.net: Für welche Herausforderung der Berufsbildungspraxis wollen Sie einen Lösungsansatz liefern?

Eveline Wuttke: Unsere Analysen bisheriger Prüfungen und in Lernsituationen eingesetzter Aufgaben zeigen, dass die Aufgaben nur in geringem Umfang geeignet sind, berufliche Problemlösefähigkeit zu messen bzw. zu fördern. Dies sollte aber der Fall sein, denn das Ziel der Ausbildung ist, dass kaufmännische Ausbildungsabsolventinnen und -absolventen, neben Handlungsroutinen und einfacheren Tätigkeiten auch komplexe und problemhaltige kaufmännische Anforderungen bewältigen können, die mit zunehmender Digitalisierung an Bedeutung gewinnen. Dies bedeutet allerdings, dass die Problemlösefähigkeit in Tests, Zwischen- und Abschlussprüfungen auch gemessen werden sollte. Wir folgen hier der Argumentation von Jonassen, der schon 2004 darauf verwiesen hat, dass niemand im Berufsleben dafür bezahlt wird, dass er/sie Fakten auswendig lernt und wiedergibt, sondern dafür, dass man berufliche Probleme löst. Die Teilnehmenden unserer Weiterbildungsmaßnahme lernen, problemhaltige, authentische Aufgaben unter Nutzung digitaler Medien und Werkzeuge zu entwickeln. Es ist wichtig, dass das Prüfungspersonal über solche Kompetenzen verfügt, um dann auch Veränderungen in der Prüfungspraxis zu bewirken.

Junger Mann im Büro
Ziel von Ausbildung ist es, berufliche Probleme lösen zu können. © iStock / AntonioGuillem

Ascot-vet.net: Wie gehen Sie dabei vor?

Eveline Wuttke: Unser Training für Aufgabenersteller/-innen adressiert drei Bereiche: Der erste Bereich umfasst die Erstellung problemhaltiger Aufgaben, hier stehen fachdidaktische und lernpsychologische Fragen im Zentrum. Der zweite Teil fokussiert auf die technologiebasierte Umsetzung der Aufgaben auf einer Plattform, hier spielen auch Fragen des Einsatzes digitaler Medien in Prüfungsaufgaben eine wichtige Rolle. Die Probanden entwickeln nach diesen beiden Trainings in einer Online-Phase eigenständig problemhaltige Aufgaben und setzen sie auf der Lernplattform um. Die Aufgaben werden danach bei Berufsschüler/-innen eingesetzt, und wir evaluieren im Anschluss, wie gut die Aufgaben aus diagnostischer Sicht funktioniert haben. Im dritten Teil des Trainings geht es um Qualitätskriterien von Aufgaben, hierzu bekommen die Teilnehmenden Grundlagenwissen vermittelt und wir geben Rückmeldung zu den von ihnen entwickelten Aufgaben, um die kritische Reflexion von Prüfungsaufgaben zu fördern.

Die Corona-Einschränkungen haben uns noch einmal neue Impulse für unser Projekt gegeben. Wir hatten ursprünglich ein Blended-Learning-Format geplant, mit Präsenzphasen, Onlinephasen und Webinaren. Wie man aktuell sieht, stößt man mit Präsenztrainings aber unter Umständen sehr schnell an Grenzen. Wir sind deshalb aktuell dabei eine reine Onlineversion des Trainings zu entwickeln. Künftige Teilnehmer/-innen haben dann die Wahl und können selbst entscheiden, welche Variante für sie am sinnvollsten und am besten in ihren Arbeitsalltag integrierbar ist. Die im Rahmen des Trainings entwickelten Aufgaben werden Lehrpersonen und Prüfer/-innen zur Verfügung gestellt und das Trainingskonzept soll für Multiplikatorenschulungen genutzt werden.

Ascot-vet.net: Welchen Vorteil bietet Ihr Vorhaben für die Praxis?

Eveline Wuttke: Wie bereits skizziert, wird zwar in Lehrplänen, Ausbildungsordnungen und der einschlägigen Literatur darauf verwiesen, dass Auszubildende zum Ende ihrer Ausbildung berufliche Problemlösefähigkeit erworben haben müssen. Es fehlt jedoch bislang an passenden Aufgaben, mit denen diese Kompetenzen auch valide und zuverlässig gemessen werden können. Mit unserem Vorhaben tragen wir dazu bei, dass Aufgabenersteller/-innen künftig passende Aufgaben entwickeln können.

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Von den Trainingsinhalten sollen nicht nur die Trainingsteilnehmenden profitieren, sondern über Multiplikatorenschulungen soll sichergestellt werden, dass sich das Wissen in der Praxis verbreitet.

Eveline Wuttke

Alle Materialien, das Trainingshandbuch und der in unserem Training generierte Aufgabenpool werden frei zugänglich zur Verfügung gestellt. Die Plattform ist Open Source und steht damit ebenfalls zur Verfügung.

Ascot-vet.net: Wie stellen Sie sich den konkreten Einsatz in der Ausbildungspraxis vor? Welche Rahmenbedingungen sollten dafür gegeben sein?

Eveline Wuttke: Hierfür gibt es mindestens zwei gute Ansatzpunkte: Erstens lässt sich das Trainingskonzept sehr gut in künftigen Weiterbildungen für Lehrpersonen und Prüfer/-innen einsetzen. Das sollte leicht möglich sein mit den frei zugänglichen Materialien. Zweitens kann das Training in der Ausbildung von Lehrpersonen in der Hochschule oder im Studienseminar eingesetzt werden. Dazu können wir selbst an unseren Standorten an den Universitäten Frankfurt und Göttingen beitragen und das Konzept auch Kolleginnen und Kollegen zur Verfügung stellen.

Ascot-vet.net: Wie sind die Rückmeldungen aus der Praxis bislang?

Eveline Wuttke: Wir stoßen auf ein grundsätzlich großes Interesse bei unseren Praxispartnern (IHKs, Ausbilder/-innen, Lehrpersonen, Prüfer/-innen). Erste Trainings waren bereits fest geplant. Leider hat uns der Ausbruch der Pandemie einen Strich durch die Rechnung gemacht und wir werden – sobald sich die Lage normalisiert hat – erneut mit der Akquise beginnen müssen, da sich Einsatzpläne und Aufgaben der ursprünglich angemeldeten Teilnehmenden unter Umständen geändert haben. Wir sind aber zuversichtlich, dass wir nach wie vor auf Interesse stoßen, vor allem, weil wir nun mit den zwei Versionen des Trainings (Blendend Learning und reines Online-Training) zwei gute Angebote haben werden, die wir zudem über eine Komponente zum Einsatz digitaler Medien für eine authentische Aufgabenerstellung angereichert haben. Auch Letzteres dürfte angesichts der aktuellen Situation auf ein hohes Interesse stoßen.

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Wir trainieren mit Aufgaben für Industriekaufleute, haben aber den Transfer für den Beruf Kaufleute für Büromanagement mit angelegt. Grundsätzlich lässt sich das Training auch für andere Berufe adaptieren, kaufmännische Ausbildungen sind besonders naheliegend.

Eveline Wuttke

Ascot-vet.net: Wo sehen Sie Anknüpfungspunkte an Ihr Projekt – für andere Berufe, für zusätzliche Einsatzmöglichkeiten, für weitere Forschung?

Eveline Wuttke: Einen Anknüpfungspunkt haben wir bereits von vornherein eingeplant: Wir trainieren mit Aufgaben für Industriekaufleute, haben aber auch schon einen Transfer für den Beruf Kaufleute für Büromanagement mit angelegt. Grundsätzlich lässt sich das Training auch für andere Berufe adaptieren, kaufmännische Ausbildungen sind besonders naheliegend. Als interessante Forschungsfrage sehen wir zum Beispiel die Validierung der Aufgaben anhand des beruflichen Erfolgs der Auszubildenden. Das bedeutet, man vergleicht, wie konventionell erstellte Aufgaben und problemhaltige Aufgaben mit späterem beruflichen Erfolg der Auszubildenden zusammenhängen und somit eine bessere Prognose erlauben.

Literaturangabe:Jonassen,  D. H. (2004). Learning to Solve Problems: An Instructional Design Guide. San Francisco: Pfeiffer.

TekoP

TeKoP ist ein Verbundprojekt mit Prof. Dr. Susan Seeber und Prof. Dr. Matthias Schumann von der Georg-August-Universität Göttingen.
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Benjamin Dresen führte das Gespräch.