Belastungen für Pflegekräfte nehmen zu: Können digitale Tools bei der Bewältigung helfen? : Datum:

Die Pandemie rückt die Belastungen für Pflegekräfte in Deutschland noch deutlicher in den Fokus. Mittels digitaler Instrumente, die das ASCOT+-Projekt EKGe entwickelt, sollen Auszubildende Strategien erlernen, wie sie diese bewältigen können. Anfang Dezember 2021 stellte das Projektteam auf einer Fachtagung seine Lösungsansätze zur Stärkung der Pflegeausbildung vor.

Rund 50 Interessierte, vom Pflege-Auszubildenden über examinierte Pflegefachkräfte bis hin zu Vertretern aus Ordnungsarbeit und Kultusministerium, nahmen Anfang Dezember an der Fachtagung des Projekt EKGe „Erweiterte Kompetenzmessung im Gesundheitsbereich“ teil. Prof. Eveline Wittmann (Verbundleiterin) und Prof. Ulrike Weyland (Moderation) stellten bei ihrer Begrüßung der Teilnehmenden direkt die Weichen für die Themen der Tagung: Der Austausch mit der Praxis und der Transfer der Ergebnisse in Praxis und Ordnungsarbeit sollten im Vordergrund stehen.

Fachkräftemangel und Pandemie erhöhen Belastungen für Pflegekräfte

In ihrem Vortrag zur „Förderung von Kompetenzen der Belastungsbewältigung und der interprofessionellen Kooperation in der pflegeberuflichen Ausbildung“ machte Prof. Wittmann zunächst deutlich, wie wichtig beide Themen heute seien: Die hohen Belastungen für Pflegekräfte, die durch den Fachkräftemangel entstehen, würden durch die Pandemie noch weiter verstärkt. Neben der personellen Unterbesetzung müssten Pflegende mit weiteren, pflegetypischen Belastungen zurechtkommen: Sie seien häufiger mit Leid und Tod konfrontiert, die Wirksamkeit von Behandlungen sei ungewiss. Um zu erreichen, dass Fachkräfte dennoch im Beruf verbleiben, sei es wichtig, dass sie lernen können, mit diesen Belastungen umzugehen.

Schmuckbild zum Projekt EKGe: Blick in einen Krankenhausflur
Der Fachkräftemangel in der Pflege ist nicht erst seit der Corona-Pandemie ein Problem. © Adobe Stock/upixa

In der Pflege würden außerdem zunehmend Kooperationskompetenzen wichtiger –, die zunehmende Multimorbidität vieler zu Pflegender erfordere mehr Zusammenarbeit mit anderen Berufsgruppen aus dem Gesundheitsbereich. „Diese Erfordernisse sind auch in den aktuellen Curricula des neuen Pflegeberufegesetzes verankert“, betonte Prof. Wittmann. Auch legten Befunde nahe, dass verbesserte interprofessionelle Kooperation dazu führe, die Belastungen von Pflegekräften zu verringern. Aber es gebe wenig empirische Erkenntnisse, wie man diese Kompetenz in der nicht-akademischen Pflegeausbildung fördern könne.

Tagungsgäste nehmen Videos und digitale Instrumente selbst unter die Lupe

Wie zu berufsdidaktischen Zwecken forschungsbasiert Situationen gestaltet werden können, in denen diese Kompetenzen gezeigt werden müssen, konnten die Tagungsteilnehmenden in zwei parallelen Workshops näher in Augenschein nehmen. Die Bewältigungskompetenz stand dabei im Mittelpunkt des einen Workshops, der andere widmete sich der Kooperationskompetenz.

In beiden Gruppen stellten die Projektbeteiligten zunächst die Testumgebung vor. Sie enthält kurze Videosequenzen, die dazu dienen, pflegetypische berufliche Situationen authentisch darzustellen: Die Konfrontation eines Pflegenden mit dem Tod einer vertrauten Patientin oder die Auseinandersetzung einer ambulanten Pflegekraft mit einer Angehörigen wurden als typische Belastungssituationen in der Pflege gezeigt. Der Umgang mit einer ansteckenden Infektionserkrankung bot Anlass für die Kooperation mit Ärzten und mit anderen Berufsgruppen im Altenpflegeheim.

Über einen Live-Zugang konnten sich die Workshop-Teilnehmenden selbst in die Umgebung einloggen, Videos anschauen und daran anschließende Frageblöcke beantworten.

Einsatz der Video-Ausschnitte kann Ausbildungspraxis verbessern

Die Resonanz der Berufspraktiker auf die Testinstrumente war durchweg positiv. Die beruflichen Situationen seien in den Videos sehr authentisch dargestellt. Man könne etwa die unterschiedlichen Belastungsfaktoren sehr gut ableiten. Die anschließende Diskussion brachte viele Ideen hervor, wie die Videos zur Verbesserung der Ausbildungspraxis beitragen könnten: Sie könnten als Werkzeug eingesetzt werden, um akute Situationen auf einer Meta-Ebene zu besprechen, man könne mit anschließenden Rollenspielen die Ausgangssituationen kreativ weiterführen lassen oder sie für die Lehrerausbildung an Hochschulen einsetzen: einerseits, um die angehenden Lehrkräfte mit authentischen Pflegesituationen zu konfrontieren, andererseits, um die fachdidaktische Nutzung und Konstruktion der Situationen zu lehren.

Sogar die großflächige Verbreitung und Nutzung der Videos an Schulen und entsprechenden Weiterbildungsträgern wurde angeregt.

Umgang mit Belastungen ist Pflegealltag

Den Schluss der Fachtagung bildete eine Podiumsdiskussion, in der unter anderem Vertreter aus der Ordnungsarbeit und der Pflegeausbildung über Anwendungsbereiche, Chancen und Grenzen digitaler Tools in der Pflegeausbildung diskutierten. Vor allem die Bewältigung von Belastungen stand dabei im Fokus. Denn diese bestimme angesichts der Pandemie mehr denn je den Alltag der Auszubildenden und ziehe sich auch wie ein roter Faden durch das Curriculum, hieß es aus dem Podium.

„Wir befinden uns im Krieg“, hätten Pflegekräfte aus dem Intensivpflegebereich in einer Untersuchung zu Anfang der Pandemie ihre Gefühlslage in Worte gefasst, so Pflegewissenschaftler Prof. Hartmut Remmers, Seniorprofessor an der Universität Heidelberg. Um drastischen Erfahrungen wie einer geringen Überlebensrate von Patienten zu begegnen, sei es umso wichtiger, alle Möglichkeiten auszuschöpfen, die dazu beitragen, die Belastungskompetenz von Pflegeauszubildenden zu fördern.

Projektbeteiligte